Offener Brief zur Aufkündigung der Verhandlungen

Mit folgendem Brief haben wir am 15.11.2017 die Verhandlungen mit dem Göttinger Studentenwerk abgebrochen.

„Sehr geehrter Herr Magull,

sehr geehrter Vorstand des Studentenwerks,

wir, die Bewohner*innen der Burgstraße 52, sowie der Roten Straße 1-5 wenden uns heute an Sie, da wir uns dazu entschlossen haben, die aktuellen Verhandlungen mit dem Studentenwerk Göttingen bis auf Weiteres abzubrechen.

Seit nunmehr zwei Jahren fordern wir vergeblich vom Studentenwerk, seiner Verantwortung als Vermieter nachzukommen und die inzwischen fast baufälligen Häuser instand zu setzen. Seit ebenfalls nunmehr zwei Jahren weigert sich das Studentenwerk auf uns zuzugehen und will die gesamten Kosten einer über Jahrzehnte verschleppten umfassenden sowie notwendigen Sanierung auf die jetzigen Bewohner*innen abwälzen. Wir sind der Meinung, dass ein solches Verhalten nicht hinter geschlossenen Türen stattfinden darf, sondern dass es einer kritischen, öffentlichen Auseinandersetzung damit bedarf.

Die Häuser Rote Str. 1-5 / Burgstr. 52 wurden in den 1970er Jahren von Student*innen besetzt und so vor dem Abriss gerettet. Nach Verhandlungen zwischen der Stadt Göttingen und dem Studentenwerk wurden die Häuser samt Grundstück an das Studentenwerk Göttingen übergeben. Auch damals waren umfangreiche Sanierungsarbeiten nötig, welche vom Studentenwerk durchgeführt wurden. Die Kosten für diese Sanierung wurden fast vollständig vom Land Niedersachsen übernommen. Seit dieser Zeit leben und wohnen in diesen Häusern Studierende kollektiv und selbstverwaltet.

Das Ausmaß des Verfalls der Häuser ist hauptsächlich auf eine technisch falsche Sanierung in den 1970er Jahren sowie auf meist nur flickenhafte und allzu sparsame Reparatur- und Sanierungsmaßnahmen in den Folgejahren zurückzuführen. So wurden vorliegende Schäden in den Häusern meist nur insoweit „behoben“, dass sie einen vorübergehenden funktionsfähigen Zustand erreichten – ohne grundlegende Erneuerungen vorzunehmen, die für eine mittel- und langfristige Perspektive wesentlich günstiger und sinnvoller gewesen wären.

Die Bewohner*innen haben immer wieder auf Probleme und Schäden an den Häusern hingewiesen und ein umfassendes Gutachten über den Zustand der Häuser gefordert. Dieses Gutachten wurde bereits 2010 von Seiten des Studentenwerks endlich zugesichert, allerdings ließ es dann noch weitere fünf Jahre auf sich warten. 2015 erst wurde dann feststellt, dass die Häuser baufällig und dringend instandsetzungs- und sanierungsbedürftig sind. In der Zwischenzeit hat das Studentenwerk allerdings, entgegen der Empfehlung der Bewohner*innen, noch für viel Geld den Hof neu pflastern und die Fassade neu streichen lassen, anstatt notwendige Reparaturen vorzunehmen, mit welchen dem weiteren zunehmenden Verfall der Häuser zumindest geringfügig entgegengewirkt hätte werden können.

Die Instandsetzungs- und Sanierungskosten belaufen sich inzwischen auf geschätzte 5,6 Millionen Euro. Jörg Magull, Geschäftsführer des Studentenwerks Göttingen, erläuterte uns gegenüber immer wieder das geplante Vorgehen: Diese unnötig hohen Sanierungskosten sollen über unsere Mieten refinanziert werden. Dies halten wir für unverschämt und unzulässig. Es ist klar, dass der jetzige Zustand der Häuser in erster Linie auf die falsche Planung und fehlende Weitsicht des Studentenwerkes zurückzuführen ist – es hat unsere Häuser bewusst verkommen und verfallen lassen.

Seit Bekanntwerden des Gutachtens 2015 war uns daran gelegen, mit dem Studentenwerk gemeinsam eine Lösung zu finden. Es ist Aufgabe des Vermieters, die Kosten einer Instandsetzung wie in unserem Fall zu tragen. Trotzdem haben wir uns bereit gezeigt, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Das Studentenwerk hat sich bis zuletzt kein Stück auf uns zu bewegt und immer darauf beharrt, uns die kompletten Kosten der Sanierung aufzuerlegen. Auch dessen kürzlich – nach zwei Jahren zähen Verhandlungen! – unterbreitete Angebot, einen kleinen Teil der Summe als sogenannten „Denkmalschutzabschlag“ zu übernehmen, stellt kaum mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein dar. Zudem nutzt das Studentenwerk den absolut dringenden und notwendigen Beginn der Instandsetzungsmaßnahmen als Druckmittel: Es machte deutlich, dass diese nicht starten werden, ehe sich die Bewohner*innen nicht vertraglich zur Übernahme der immensen Kosten verpflichtet haben. Den Verfall der Häuser nimmt es dabei ausdrücklich in Kauf – und damit die Gefahr einer Räumung der Häuser aufgrund einsetzender Baufälligkeit. In Verhandlungsrunden bevorzugt es Jörg Magull, sich hinter bürokratischen Formalia zu verschanzen, anstatt ernsthaft auf uns zuzugehen oder macht Versprechungen, von denen er dann beim nächsten Verhandlungstermin bereits wieder abrückt. Das Studentenwerk – wohlgemerkt sozialer Träger und verantwortlich für die Belange der Göttinger Studierendenschaft – nimmt es leichtfertig in Kauf, dass trotz der höchst prekären Wohnraumsituation in der Stadt bis zu 60 junge Menschen von einem Tag auf den anderen ohne Wohnung auf der Straße stehen könnten.

Auf die bislang gestellten Bedingungen des Studentenwerks können wir uns daher nicht einlassen. Für uns ist mittlerweile deutlich geworden, dass das Studentenwerk kein ernsthaftes Interesse daran hat, mit uns zu einer Einigung zu kommen, sondern lediglich den Zustand unserer Häuser dazu nutzen möchte, jahrzehntealte, politische und „unbequeme“ Wohnprojekte in Göttingen endlich loszuwerden. Das werden wir so nicht hinnehmen.

Wir fordern daher die sofortige Umsetzung der bereits abgeschlossenen Planungen der Sanierungsmaßnahmen, sodass 2018 die ersten Häuser instandgesetzt werden können. Erst dann sind wir bereit, weiter über die Kostenverteilung der Sanierung zu verhandeln, wofür wir ein echtes und faires Angebot erwarten.

Wenn das Studentenwerk sich weigert, ernsthaft auf uns einzugehen, müssen wir unseren Forderungen anderweitig Gehör verschaffen. Wir werden es nicht zulassen, dass das Studentenwerk sich ohne Konsequenzen über Jahre seiner Verantwortung entzieht. Wir werden es nicht zulassen, dass wir unsere Häuser verlieren.

Rote Straße bleibt!

Mit freundlichen Grüßen

die Bewohner*innen der Burgstr. 52 / Rote Str. 1-5″

 

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